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Geld oder Liebe

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Das vorliegende Buch sieht zunächst nach einem traditionellen Familienroman aus, tatsächlich aber ist es eine Charakterstudie, die mit subtiler Grausamkeit, einem Momentum konsequenter Unausweichlichkeit ausgestattet ist. Wie der renommierte, früh verwitwete Arzt Dr. Sloper die Heirat seiner Tochter Catherine mit dem sympathisch, auch charakterstark erscheinenden, aber mittellos dastehenden Morris Townsend zu verhindern sucht, ist ebenso ein Muster psychologischer Kriegsführung wie ein Beispiel prätentiös auftrumpfender Sturheit. Catherine wird zunächst geschildert als „ein gesundes, gut gewachsenes Kind, doch ohne jede Spur von Schönheit ihrer Mutter“, nun ist sie Anfang zwanzig, also im besten heiratsfähigen Alter, und sie hat auch schon einen Auserwählten gefunden, den eben erwähnten Morris Townsend. Ganz offensichtlich hält ihr Vater aber nichts von ihm und, wie sich herausstellt (und etwas verstörend wirkt), auch nicht allzu viel von ihr, Catherine, denn er mokiert sich insgeheim immer wieder über die intellektuelle Beschränktheit seiner Tochter. Doch jetzt sieht er sich auf einmal einem konkreten Problem gegenüber: Catherine und Morris haben sich in den Kopf gesetzt, zu heiraten, und Sloper fällt nichts besseres ein, als immer wieder nur die Daumenschrauben für seine Tochter ein wenig fester anzuziehen, ist dieser rachsüchtige und gefühlskalte Neurotiker doch keineswegs gewillt, auch nur einen Millimeter nachzugeben; er will triumphieren, will einfach Recht haben in seiner Ansicht, Morris sei bei der ganzen Geschichte nur aufs Erbe aus. Er lehnt den Schwiegersohn-in-spe also rundweg ab.
Dabei ist es interessant zu sehen, wie Sloper in seiner manipulativen Art ständig seine Strategien verfeinert, wie er ein ums andere Mal Scheinangebote macht, minimale Korrekturen anbringt, um sie fast im selben Moment mit Genuss zu sabotieren, indem er alles Gesagte ironisiert. Dass er damit das Schicksal seiner eigenen Tochter zubetoniert und dass es ihm zugleich vollkommen schnuppe ist, was sie empfindet oder was aus ihr wird, hat geradezu etwas Monströses an sich. Seine ganze Dialektik wirkt damit einfach nur abgefeimt.
Sloper erwartet Loyalität von seiner familiären Entourage, aber die ist eher auf Seiten der beiden Verliebten, er bleibt letztlich ein rechthaberischer Solitär ohne Aussicht auf Besserung. Die Sache geht am Ende aber dennoch nicht gut aus für das Pärchen, zermürbt entfremdet es sich, vor allem Catherine ist zerknirscht, bleibt aber auf seltsame, geradezu grotesk masochistische Weise ihren Vater gegenüber loyal, Morris wiederum zieht sich irgendwann zurück, der alte Sloper kann einen schäbigen Pyrrhussieg davontragen, stirbt am Ende und lässt eine komplett resignierte Tochter zurück. Die Geschichte ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts angesiedelt, der Roman wirkt trotz seiner mittlerweile 135 Jahre weder in Stil und Diktion noch in seinen Dialogen auch nur ansatzweise antiquiert. Henry James (1843-1916) war seinerzeit einfach ein außerordentlicher Beobachter psychologischer Verwerfungen. Man ist hier mitunter an die Distanz und Distinguiertheit ausdrückenden Förmlichkeiten einer sich als etwas Besseres wähnenden Klasse erinnert und kann damit an den teils steifen, teils einfach nur abgehobenen Gestus einer Gesellschaft teilhaben, die am liebsten nur um sich selbst kreist. Aber keine Frage: das alles ist großes, melodramatisches Kino.

Henry James: Washington Square. Roman. Aus dem Englischen übersetzt u. m. einem Nachwort von Bettina Blumenberg. Manesse Verlag, Zürich 2014, 275 S., 24.95 €
aus biograph 09/2014

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