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Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern

Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern
Schweiz 2015, Laufzeit: 91 Min., FSK 16
Regie: Stina Werenfels
Darsteller: Victoria Schulz, Lars Eidinger, Jenny Schily

Hiermit kommt einer der womöglich provokantesten und mitreißendsten Filme über die Entdeckung des eigenen Sexualtriebes ins Kino. Ergriffen von der moralischen Ambivalenz des gleichnamigen Theaterstücks von Lukas Bärfuss, adaptierte Stina Werenfeld die Geschichte um die geistig behinderte Dora, welche jäh von ihrer natürlichen und durch Medikamente lange unterbundenen Sexualität überrumpelt wird. Vor drastischen und schonungslosen Bildern wird hier nicht zurückgeschreckt. Diese mutige Studie übers Loslassen und den Kampf um die eigene Autonomie ist bedrückend, kontrovers und eine Sternstunde für Hauptdarstellerin Victoria Schulz.

Schon das Lächeln Doras (Victoria Schulz) in den ersten Augenblicken des Filmes suggeriert, dass etwas anders an ihr ist. Sie leidet unter einer geistigen Behinderung und nimmt sedierende Psychopharmaka, die sie jedoch in einen wenig komfortablen Zustand andauernder Apathie versetzen. Daher beschließen ihre Eltern Kristin (Jenny Schily) und Felix (Urs Jucker) die Absetzung der Medikamente, um ihrer Tochter ein normaleres Leben zu ermöglichen. Eine Entscheidung, die allerdings ihren Tribut fordert, denn nun setzt bei Dora mit reichlicher Verspätung die Pubertät ein und in dem Mädchen erwacht die schnell zunehmende Lust und Neugierde auf das männliche Geschlecht. Zuerst begrüßen die Eltern das geweckte Interesse ihrer Tochter und beschließen während dieser Wandlung sogar, ein zweites, gesundes Kind zu bekommen. Aber Dora fühlt Einsamkeit in sich aufsteigen und der Drang nach intimer Nähe nimmt stetig zu. Als Dora eines Tages mit einem fremden Mann (Lars Eidinger) Sex auf einer Bahnhofstoilette hat und später verwirrt von der Polizei aufgelesen wird, sind sich ihre Eltern einig, dass sie vergewaltigt wurde. Bei der Polizei gibt sie jedoch zu Protokoll, dass ihr der Geschlechtsakt gefallen habe. Die Situation spitzt sich zu, denn Dora verabredet sich weiterhin mit dem Mann und sie droht zu eskalieren, als bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt wird.

Auch wenn es nicht die primäre Intention des Filmes ist, seine Zuschauer zu schockieren, so sollten diese dennoch vorgewarnt sein, denn was in relativ ausgelassenem Tonfall beginnt, mündet schon bald in einem aufwühlenden Drama, auf dessen krasse und mitunter verstörende Sequenzen man innerlich gewappnet sein sollte. Doras Forschungstrip in die Welt des erwachsenen Liebeslebens und ihr radikaler Ausbruch aus dem Elternhaus erhält aber nicht allein durch die tabubrechenden Bilder, sondern auch durch den psychologisch-ethischen Subtext, sowie einer äußerst differenzierten Inszenierung, die ihre außergewöhnliche Wahrnehmung eindrücklich subjektiviert, eine ganz einzigartige Intensität. Ebenso wie ihre eigenen Bedürfnisse zur Geltung kommen, müssen auch ihre Eltern das Loslassen erlernen und gelangen genau wie ihre Tochter an einen bedeutungsvollen Wendepunkt in ihrem Leben. Die Lossagung vom eigenen Elternhaus wurde selten an so einem extremen und anschaulichen Beispiel skizziert, wie hier. Die Betrachtung dieser sexuellen Befreiung, man könnte sagen Revolution, fordert das Publikum und präsentiert existenzielle Bedürfnisse in einer forschen, gleichzeitig aber auch sehr ehrlichen Form. Hervorzuheben ist insbesondere die schauspielerische Leistung von Newcomerin Victoria Schulz in ihrer zweiten Kinorolle nach „Von jetzt an kein Zurück“. Sie portraitiert Dora mit außerordentlichem Mut, authentisch und übt eine große Präsenz auf der Leinwand aus.

(Nathanael Brohammer - biograph)

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